I. DimitroukasDie Reise des Thomas Magistros im Herbst-Winter 1310 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde die sog. Gesandtschaftsreise des Thomas Magistros in bezug auf Fahrzeiten, Fahrtrouten und bestimmte technische Aspekte der byzantinischen Schiffahrt einer genaueren Analyse unterzogen. Das Handelsschiff, mit dem Thomas und seine Begleiter reisten, stach am 01.10.1310 in See; bei leichter Brise und zeitweilig auch bei ungünstigem Nordwind segelte es mit Mühe die Ostküste des Thermaikos entlang, bis die Stadt Pallene/Kassandra oder eine andere Ortschaft der gleichnamigen, von Thomas als ";;Insel„ aufgefaßten Halbinsel am 03.10. erreicht wurde. Am Spätnachmittag des nächsten Tages segelte das Schiff wieder ab und, nachdem es das Kap Kanastraion umfahren hatte, nahm es Kurs auf den Heiligen Berg Athos; jedoch sah sich der Kapitän wegen Gegenwinde auf hoher See gezwungen, die Fahrtrichtung zu ändern und den Hafen von Kupho, nordwestlich vom Kap Drapanon (am Südende der Halbinsel Sithonia/Longos), anzulaufen. Dort lag das Schiff 4 Tage lang vor Anker (wahrscheinlich 05-0 9.10).Am 4. Tag stach es wieder in See; der Kapitän hatte anscheinend vor, der üblichen Direktroute über Lemnos nach Konstantinopel zu folgen. Diese Route diente dem Verkehr zwischen Konstantinopel und dem Heiligen Berg bzw. Thessalonike und wurde jahrhundertelang am meisten frequentiert, wie einige militärische und mönchische Itinerare zeigen. Die Absicht des Kapitäns, nach Lemnos zu reisen, machte ein sich plötzlich erhebender Nordwind zunichte und das Schiff wurde Richtung Süden getrieben; nach einer gefährlichen Irrfahrt auf der bewegten Hochsee wurde der vorzügliche und gut geschützte Hafen einer unbewohnten Insel der Nordsporadengruppe angesteuert. Nach den Informationen des Magistros über diesen Hafen sowie auch über die reiche Fauna der Insel ist sie mit Kyra Panagia (im Mittelalter Gymnopelagesion und Pelagonesion genannt), zwischen Giura und Chelidromia, zu identifizieren. Unklar bleibt nur, in welchem der beiden Zufluchtshäfen der Insel, die sich an der Nord- und der Südwestecke befanden, das Schiff vor Anker ging. Während des Aufenthalts der Schiffer und Passagiere auf der Insel (ca 11-14.10) kam eine Kriegsgaleere in Sicht; aus Furcht, es handle sich um ein Piratenschiff, begann die Mannschaft die Waffen zu ergreifen, um einen möglichen Angriff abzuwehren. Jedoch wurde beim Herannahen des Schiffes mit Erleichterung festgestellt, die angeblichen ";;Piraten„ seien in Wirklichkeit ";;Verbündete„ der Griechen gewesen (es handelte sich wahrscheinlich um Genuesen). Das Ausmaß der von Piraten ausgeheden Gefahren, von denen die Meeresengen der Nordsporaden im Altertum und im Mittelalter besonders bedroht waren, zeigt der Brauch, an Bord der Handelsschiffe Waffen zu tragen; die Venezianer praktizierten diesen Brauch vom Jahre 971 an systematisch, die Byzantiner nur gelegentlich. Interessant ist auch, daß das Schiff, mit dem Magistros reiste, bei Windstille aus dem Hafen auslaufen konnte, indem es vom Beiboot ins Schlepptau genommen wurde. Anläßlich dieses Zwischenfalls wurden die verschiedenen Funktionen des Beiboots mit Hilfe der Texte erläutert.Die nächste Reiseetappe bis Tenedos verlief sehr schnell. Bei stürmisch-günstigem Wind fuhr der Segler an der Nordseite der Insel Lemnos vorbei. Dann lief er nacheinander Imbros, Samothrake und Tenedos an. Man war schon im Begriff, in die hellespontische Meeresenge einzufahren, als Gegenwind aufkam und das Schiff bis Lemnos zurückgetrieben wurde, ohne daß es hier landen konnte (ca 14-17); der Segler setzte anschließend seine kreisförmige Fahrt fort, an den drei oben genannten Inseln vorbei, ehe er mit Mühe in die Dardanellen fuhr und im Hafen von Sestos festmachte (ca 17-19.10). Die letzte Etappe dauerte am kürzesten; es gelang dem Kapitän, vermutlich in zwei Tagen wegen des sehr günstigen Windes entlang der Nordküste des Propontismeeres Konstantinopel zu erreichen (ca 19. bis 20. oder 21.10).In der Hauptstadt stieg die Gessellschaft in einem baufälligen, kalten und engen Häuschen ab und am selben Tag wurde Thomas vom Patriarchen Niphon und dem Großlogotheten Theodoros Metochites sehr freundlich empfangen. Bei der Audienz, die der Kaiser, mit verschiedenen dringlichen Angelegenheiten (insbesondere mit der Oktobersynode) beschäftigt, ihm erst nach einigen Tagen gewährte, zeigte Andronikos II. großes Entgegenkommen und erfüllte aller Wahrscheinlichkeit nach die Bitte des Gesandten um Begnadigung des Feldherrn Chandrenos, der des Verrats beschuldigt worden war. In der Zwischenzeit nützte Thomas die Gelegenheit aus, um von Studenten und Gelehrten begleitet die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt zu besichtigen.Die Rückfahrt erfolgte mit einem nach byzantinischen Maßstäben relativ großen einmastigen Lastschiff, das ca 200 Leute (Seeleute und Passagiere) an Bord und viele Waren ";;im inneren Schiffsraum'', d.h. im Kielraum aufnehmen konnte und in jedem Fall größer als das Schiffswrack von Yassi Ada (625/6) und jenes von Serçe Liman (1021/2) war. Da es notwendig war, Waren zu laden und zu löschen, und die Vorräte oft wegen der großen Menschenzahl an Bord zu erneuern, hielt der geldgierige Kapitän in (fast) jedem Hafen der Nordseite des Propontismeeres (Hagios Stephanos, Rhegion, Athyras, Selymbria, Daonion) an, so daß die nur 60 km lange Strecke bis Herakleia wahrscheinlich in gut 20 Tagen zurückgelegt wurde. Am Abend angekommen, lag der Segler noch einen Tag im (Ost-) Hafen von Herakleia vor Anker.Am Frühmorgen des 22. Tages verließ der Frachter die Klistenlinie und bei Einbruch der Dunkelheit lief er in den Petale-Hafen ein, der an der Nordwestecke der Insel Proikonnesos/Marmaras lag. Bei sehr schlechten Wetterbedingungen ankerte das Schiff 8 Tage lang dort, während die Mannschaft und die Passagiere auf die Suche nach Lebensmitteln gingen. Dabei konnten sie sich Wein, Gemüse und Brennholz beschaffen.Die Furcht vor einem Piratenangriff kam wieder vor, als man am Spätnachmittag des 8. Tages die aus ca. zwölf ";;Einruderern„ bestandene kaiserliche Flottille am Petale-Hafen vorbeifahren sah. Ein wenig später erhob sich ein leichter Nordwind, der das Auslaufen des Schiffes aus dem Hafen ermöglichte; da der Wind allmählich immer stärker wurde, konnte das Schiff die Strecke entlang der Nordküste der Propontis und dann durch die Meeresenge bis Lemnos wahrscheinlich in wenigen Stunden zurücklegen. Im Hafen kam das Schiff nachts an. Nachdem sich Schiffer und Passagiere auf der Insel wenige Lebensmittel ";;gegen viel Geld„ eingekauft hatten, stachen sie wieder in See. Südwestlich von Lemnos geriet das Schiff in schwerste Seenot. Der Wind zerfetzte das Hauptsegel, die Schiffswände erlitten große Schäden und das Stütztau, das die Antenne hochhielt, brach; im letzten Moment konnte die erfahrene Mannschaft Antenne und Mastbaum mit einem dicken Seil festmachen und glücklich in denselben Hafen der unbewohnten Insel einlaufen, in dem die Reisenden bei der Hinreise Zuflucht gefunden hatten. Der erneute Aufenthalt dort dauerte genau 5 Tage. Die letzte Fahrtetappe dauerte bei starkem Südwind nicht länger als zwei Tage, bis das Schiff vor das Kap Embolos kam. Dort behinderte der heftige Nordwind ";;Kaus'' (wahrscheinlich der heute ";;Vardares'' genannte eisige Winterwind) die Einfahrt in den innersten Teil des Thermaikos. Deshalb ging ein Teil der Passagiere und darunter die Gesellschaft des Magistros an Land, wo sie bei Bauern die Nacht verbrachten; am nächsten Tag erreichten sie zu Pferde auf dem Landweg ihre geliebte Stadt.Mit Hilfe verschiedener Indizien konnte im letzten Teil des Aufsatzes die Zeit der Rückreise näher bestimmt werden: sie wurde wahrscheinlich am 30. Oktober oder Anfang November angetreten; daraus ergab sich, daß die Reisegesellschaft entweder am 14. oder zwischen dem 14. und dem 21. Dezember, d. h. einige Tage vor Weihnachten 1310, in Thessalonike ankam.